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Geowissen

Anthropozän wird keine geologische Epoche

Internationale Geowissenschaftliche Union stimmt gegen Aufnahme in die offizielle stratigrafische Zeitskala

Technosphäre
Wir Menschen haben unseren Planeten tiefgreifend verändert. Deshalb gab es den Vorschlag, unser Zeitalter zum Anthropozän zu erklären. Doch dies wurde nun abgelehnt. © Thomas Northcut/ iStock

Abgelehnt: Die vom Menschen geprägte Ära des „Anthropozän“ wird doch kein offizielles geologisches Zeitalter – es bleibt ein inoffizieller Begriff. Dies hat ein Gremium der International Union of Geological Sciences (IUGS) nun in einer Abstimmung beschlossen. Grund dafür sind der strittige Beginn des Anthropozäns, aber auch die weltweit nicht einheitliche Nachweisbarkeit der entsprechenden Marker, so die IUGS. Allerdings gibt es dagegen auch Widerspruch.

Wir Menschen haben die Erde verändert wie kein anderes Lebewesen vor uns. Wir haben irdische Kreisläufe, die Natur und das Klima verändert und ganz neue Minerale und Materialien erschaffen. Unsere Technosphäre und Materialien wiegen bereits mehr als die Biomasse auf unserem Planeten, Plastik, radioaktiver Fallout und Schadstoffe sind selbst in entlegensten Regionen nachweisbar. Deshalb hat die International Union of Geological Sciences (IUGS) im Jahr 2009 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die prüfen sollte, ob es ein neues „Zeitalter des Menschen“ – das Anthropozän – geben soll.

Bohrkern-Schichten
Diese feinen Schichten aus dem kanadischen Crawford Lake sollten der Referenzpunkt für das Anthropozän werden, denn sie zeigen den Beginn des radioaktiven Fallouts Anfang der 1950er Jahre besonders deutlich. © Tim Patterson

Wird das Anthropozän ein offizielles Zeitalter?

Ende 2023 kam diese Arbeitsgruppe zu dem Schluss, dass es genügend geologisch-stratigrafische Argumente gibt, um das seit dem Ende der Eiszeit vor rund 12.000 Jahren bestehende Holozän durch das Anthropozän abzulösen. Als Beginn des Anthropozäns legten die Geowissenschaftler die Zeit um 1950 fest. Als offiziellen Referenzpunkt, den sogenannten Global Stratotype Section and Point (GSSP), schlugen sie eine Schicht im kanadischen Crawford Lake vor.

Doch das letzte Wort darüber hat ein Untergremium der IUGS, die Subkommission für Quartär-Stratigrafie (SQS). Deren Mitglieder haben nach eingehender Prüfung zwischen dem 4. Februar und 4. März 2024 über die offizielle Aufnahme des Anthropozän in die geologische Zeitrechnung abgestimmt. „Alle an dem Prozess Beteiligten sind Geowissenschaftler des höchsten Kalibers mit einer großen Expertise in Quartär-Stratigrafie und Chronologie“, betont die IUGS in einem Statement.

Die Entscheidung

Jetzt ist die Entscheidung gefallen: Das Gutachtergremium SQS hat sich mit großer Mehrheit gegen das Anthropozän als geologisch-stratigrafisches Zeitalter entschieden. Vier Pro-Stimmen standen zwölf Gegenstimmen und drei Enthaltungen gegenüber. „Das Konzept des Anthropozän wird damit nicht als formaler geologischer Begriff anerkannt“, so die IUGS. Dennoch wird das Anthropozän auch im geologischen Sprachgebrauch eine feste Stellung bekommen, wie die Geowissenschaftler erklären.

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„Das Anthropozän wird zwar nicht als chronostratigrafische Einheit klassifiziert, aber als Ereignis, ähnlich der kambrischen Explosion oder der Great Oxygenation“, erklärt die IUGS. Auch dies seien transformative Ereignisse der Erdgeschichte gewesen. „Das Anthropozän kann in ähnlicher Form als informeller, nicht-stratigrafischer Begriff angesehen werden“, so das Gremium. „Das Konzept des Anthropozän wird daher weiterhin breit verwendet werden – nicht nur in Geo- und Umweltwissenschaften, sondern auch von Soziologen, Politikern und Ökonomen und der breiten Öffentlichkeit.“

Drei Gründe für die Ablehnung

Doch was sind die Gründe für die Ablehnung? Laut IUGS sind es vor allem drei Argumente, die gegen die offizielle Anerkennung des Anthropozäns sprechen. Das erste ist der strittige Beginn des Anthropozäns. Die Arbeitsgruppe schlug dafür die 1950er Jahre und den ab dann nachweisbaren radioaktiven Fallout der Atombombentests sowie die starke Beschleunigung von technischen und wirtschaftlichen Entwicklung vor. Andere setzen jedoch den Beginn des Anthropozäns viel früher an – mit dem Beginn der Landwirtschaft oder der Industrialisierung.

Der zweite Grund geht in eine ähnliche Richtung: „Die menschlichen Auswirkungen auf globale Systeme sind räumlich und zeitlich variabel, daher kam ihr Beginn nicht adäquat durch einen Punkt in der Zeit und einen isochronen Horizont repräsentiert werden“, erklärt die IUGS. Der dritte Grund: Im Vergleich zu anderen geologischen Zeitaltern ist das Anthropozän extrem jung – mit einer bisherigen Dauer von wenigen Jahrzehnten ist es ein bloßer Wimperschlag gemessen an den sonstigen geologischen Zeiträumen. Daher sei es noch zu früh für eine solche Entscheidung.

Bleibt das jetzt für immer so?

Allerdings gibt es auch Protest gegen die jetzt gefallene Entscheidung. Vor allem die Vorsitzenden der Anthropozän-Arbeitsgruppe, Jan Zalasiewicz und Colin Waters von der University of Leicester, kritisieren unter anderem, dass das SQS-Gremium nicht ausreichend Zeit für die Auseinandersetzung mit dem Bericht und den aufgeführten Fakten bekommen habe. Dennoch ist die Entscheidung gegen eine Ablösung des Holozän durch das Anthropozän mit der Abstimmung nun erst einmal getroffen worden.

Ob sich die Bewertung des Anthropozäns in Zukunft noch einmal ändern wird, bleibt damit zunächst offen. Denn ein nächster Anlauf könnte noch einmal mindestens ein Jahrzehnt dauern.

Quelle: IUGS – International Union of Geological Sciences

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